Neues Geschäftsfeld – Zeitfracht will mit Flug-Express-Päckchen wachsen
Ein Artikel von Dominik Bath. Veröffentlicht in der Berliner Morgenpost.
Nach der Air-Berlin-Insolvenz kaufte der Berliner Logistiker eine Tochterfirma der Pleite-Airline. Jetzt arbeitet der Geschäftsführer an neuen Frachtkonzepten.Im Erdgeschoss des Berliner Logistikers Zeitfracht muss jeder Besucher noch immer dem starren Blick des Unternehmensgründers standhalten. Horst Walter Schröter steht dort in Bronze gegossen gleich neben dem Treppenaufgang zu den Büros der Geschäftsführung. Schröter, der Sohn eines Fuhrunternehmers, hatte die Spedition 1947 gegründet. In einem der Räume in der ersten Etage sitzt der heutige Zeitfracht-Chef Wolfram Simon und spricht Sätze aus, die man von einem Firmenlenker kaum noch hört. “Ein Stück weit ist bei uns die Zeit stehen geblieben”, sagt Simon dann zum Beispiel. Und gleich danach: “Wir ziehen den Frieden im Unternehmen der Rendite vor.”
Der studierte Betriebswirt sitzt zurückgelehnt in einem Ledersessel. Die Aufmerksamkeit, die es im vergangenen Jahr auch um seine Person gab, sei ihm unangenehm gewesen, erklärt er. Durch die Berichterstattung um die Air-Berlin-Pleite war Zeitfracht in den Fokus gerückt: Aus der Insolvenzmasse der Fluggesellschaft erwarben die Berliner die Frachtgesellschaft Leisure Cargo. Auch bei Air Berlin Technik hatte Zeitfracht gemeinsam mit der Wartungsfirma Nayak Erfolg. Auf dem freien Markt kauften die Berliner zudem die Charter-Linie WDL-Aviation.
Durch die Zukäufe wurde Zeitfracht nicht nur bundesweit bekannt. Die Neuerwerbungen haben auch das Geschäftsmodell des Unternehmens verändert: Für den früheren Lastwagenspediteur Zeitfracht hat die Arbeit über den Wolken an Bedeutung gewonnen. “Wir erzielen mittlerweile einen Großteil unseres Umsatzes durch die Frachtluftfahrt”, sagt Simon, auch wenn er eigentlich nicht so gerne über Zahlen sprechen will. Nach Informationen der Berliner Morgenpost stiegen die Erlöse 2017 auf 250 Millionen Euro, rund 127 Millionen Euro wurden durch den Transport mit Frachtflugzeugen umgesetzt. Insgesamt verschickte der Logistiker rund 120.000 Tonnen Fracht in der Luft.
Während Wolfram Simon über die neue Zeitfracht spricht, hat er seine Beine lässig übereinandergeschlagen. Simon trägt Hemd, Jeans und Sneakers und erklärt den Schritt in die Luft auch mit der Vision des Zeitfracht-Gründers Horst Walter Schröter. Schröter, der 2013 im Alter von 85 Jahren verstarb, hatte zu Lebzeiten das Ziel formuliert, Zeitfracht-Pakete auch per Flieger auf die Reise zu schicken. Simon arbeitet nun konsequent an Schröters Idee. Ein Baustein ist dabei die frühere Air-Berlin-Frachttochter Leisure Cargo. In Simons neuem Geschäftsplan spielt aber auch die – ebenfalls im vergangenen Jahr erworbene – Chartergesellschaft WDL Aviation ein wichtige Rolle. Die WDL vermietet ihre eigenen Flugzeuge nach Bedarf an andere Airlines. Derzeit fliegen die vier Maschinen der Konzerntochter für den britischen Billigflieger Easyjet, der nach der Air-Berlin-Pleite sein Engagement in Berlin-Tegel deutlich ausgebaut hat. Erst Anfang April hatte Zeitfracht das vierte Flugzeug gekauft und in die WDL-Flotte eingegliedert. “Das ist eine Nische, in der wir weiter wachsen wollen”, sagt Simon.
Die Maschinen, die für Easyjet abheben, sind aber offenbar auch Teil eines Versuchs, mit der Zeitfracht die Logistik von kleineren Express-Sendungen mit bis zu sieben Kilogramm Gewicht revolutionieren will. “Das Ziel ist, bis Ende des Jahres ein europäisches Netz für kleingewichtige Express-Frachtstücke zu etablieren”, erklärt der Firmenchef. Simon hat dafür vor allem die Frachträume von Billigfliegern im Visier.
Bislang machen Easyjet, Ryanair und Co. einen Bogen um Frachtdienstleistungen, vor allem, weil die zusätzliche Aufgabe die Standzeiten der Maschinen verlängern könnte. Simons Türöffner ist ein spezieller Kleincontainer in Waschkorbgröße, der sich schnell ein- und ausladen lässt, während die Flieger stehen. “Dieses Kernstück ist in der Erprobung”, sagt Simon. Für den Transport der Schnellsendungen zwischen Flughäfen und Kunden wird Zeitfracht mit dem Paketdienst DPD zusammenarbeiten. Der Berliner Logistiker gehörte einst zu den Gründungsmitgliedern von DPD. Ende 2016 hatte sich der Logistiker aber von seinen verbliebenen Anteilen getrennt.
Der frühere Stammsitz soll schließen
Zeitfracht wird auch das Geschäft auf der Straße nicht aus den Augen verlieren. Simon will den Bereich neu organisieren. Der frühere Hauptsitz der Spedition in Stendal (Sachsen-Anhalt) soll schließen. Künftig wird der Frachttransport mit Lastwagen von Berlin und Brieselang (Brandenburg) aus gesteuert. Wachstum könnten auch weitere Übernahmen bringen. Sowohl bei der Lastwagenlogistik als auch im Flugverkehrsbereich seien Zukäufe denkbar, sagt Simon. Gespräche laufen derzeit.
Wolfram Simon wirkt mit sich im Reinen, während er über die Pläne spricht. Es scheint, dass die vielen Gespräche mit Horst Walter Schröter den alten Zeitfracht-Geist bei dem neuen Geschäftsführer erhalten haben. Zeitfracht, sagt Simon, habe in der Unternehmensgeschichte noch nie Verluste gemacht, auch im vergangenen Jahr nicht. “Wir machen nur etwas, was wir auch bezahlen können”, erklärt Simon.
Am Ende des Gesprächs sagt er dann wieder so einen Satz: “Stellen Sie sich mal vor, wir würden uns das alles auf Pump leisten und hätten dann keine Arbeit mehr.” Für Zeitfracht laufen die Logistikgeschäfte derzeit zwar ausgesprochen gut. Der konservative Umgang mit den Finanzen soll dafür sorgen, dass der Logistiker auch künftig die Spur hält, sagt Simon. Zeitfracht-Gründer Horst Walter Schröter würde dieses Bekenntnis sicher freuen.